Die Methode Make Water Your Friend

Wenn man Menschen begleitet oder trainiert, dann muss man berücksichtigen, dass jeder Mensch ein Individuum ist, in vielerlei Hinsichten also anders als andere Menschen ist. Jede:r Athlet:in hat eine eigene Biographie, ein eigenes Mindset und eigene gelernte Muster. Um effektive Lern- und Veränderungsprozesse anstoßen zu können, müssen diese Eigenarten in Rechnung gestellt werden.

Make water your friend – Methode oder individuell?

Es klingt zunächst widersprüchlich, einerseits davon zu sprechen, dass jeder Mensch ein Individuum ist und daher einer individuellen Berücksichtigung bedarf - und andererseits eine Methode, also ein offenbar fixiertes Konzept, zu verfolgen. Tatsächlich besteht darin jedoch kein Widerspruch! Denn die Methode besteht nicht aus konkreten Handlungsanweisungen und erklärt auch keinen bestimmten Bewegungsablauf zu einem Ideal, das um jeden Preis erreicht werden muss. Ja, Schwimmtechnik definiert immer einen Rahmen für die Bewegung - Kraulen wird immer eine Wechselzugart bleiben. Dennoch ist kein Bewegungsablauf seinen Alternativen per se überlegen. Jeder Mensch läuft und schwimmt anders als andere, das gilt im Breitensport wie auch in der Weltspitze. Das individuelle Ideal zu finden, darin besteht die Aufgabe.

Die Methode Make Water Your Friend ist also eine Metamethode, ein konzeptioneller Ansatz dafür, Menschen zu ihrer eigenen Bewegung zu führen. Die Prinzipien werde ich nachfolgend kurz skizzieren.

The way we do anything is the way we do everything

Dieser Satz von Martha Beck stellt so etwas wie den Überbau der Methode dar. Was Martha Beck damit meint ist, dass sich unsere Verhaltensmuster sowohl in den "kleinen" wie auch in den "großen" Handlungen zeigen. Wir alle handeln in Mustern, die wir im Laufe unserer Zeit gelernt haben. Manche davon sind hilfreich - mit anderen stehen wir uns selbst im Weg. Wir können also z.B. der Überzeugung sein, wir müssten alles auf Anhieb richtig machen. Oder wir dürften keine Fehler machen. Oder wir müssten einem äußeren Anspruch genügen. Dies sind Überzeugungen - Glaubenssätze - die sich auch dann zeigen, wenn man z.B. versucht, seine Schwimmtechnik zu verbessern. Es handelt sich dabei um die gelernten und verinnerlichten Problemlöse-Muster, die aber in den seltensten Fällen produktiv sind. Als erfahrener Psychologe und Coach bin ich es gewohnt, nach solchen Mustern Ausschau zu halten und sie transparent zu machen. Denn nur Muster, die uns bewusst sind, lassen sich ändern. Und wenn wir dies im Kleinen üben, schaffen wir die Voraussetzung dafür, sie auch im Großen verändern zu können.

Achtsame Beobachtung

Achtsamkeit ist die Fähigkeit, seine Innenwelt spüren und beobachten zu können. Schwimmen setzt ein erhebliches Maß dieser achtsamen, inneren Beobachtungsgabe voraus. Das liegt einerseits daran, dass wir uns beim Schwimmen kaum selbst von außen beobachten können und andererseits daran, dass wir praktisch schwerelos und ohne Ankerpunkt im Wasser schweben. Beide Aspekte unterscheiden das Schwimmen von anderen Sportarten und erfordern damit spezielle Fähigkeiten. Der Fachbegriff für diese innere Beobachtungsgabe lautet Propriozeption, also die Wahrnehmung des Selbst nach Lage, Stellung und Bewegung in Raum und Zeit.

Kontraste

Unser Wahrnehmungssystem ist darauf ausgelegt, Kontraste zu spüren, nicht Absolutwerte. Jeder kennt dieses Phänomen z.B. vom Autofahren oder von der Lufttemperatur. Bleiben wir konstant in einem Zustand, dann lässt sich dieser kaum noch differenziert wahrnehmen. Ohne Beschleunigung spüren wir die Geschwindigkeit kaum, ohne Temperaturwechsel erscheint uns eine Temperatur (über ein breites Spektrum zumindest) einfach als neutral. Übersetzt ins Bewegungslernen bedeutet das, dass wir Bewegungen nur dann verbessern können, wenn wir stimmigere mit weniger stimmigeren Bewegungen vergleichen können, wenn wir also Empfindungskontraste herstellen. Daher muss man bei der Methode Make Water Your Friend Bewegungen bewusst falsch ausführen - damit Unterschiede spürbar werden. Wie gut man diese Unterschiede spürt hängt von unserer Fähigkeit zur achtsamen Beobachtung ab.

Teilmuster, Grundmuster und Bewegungsmuster

Ein bekanntes Prinzip, das ich für die Methode Make Water Your Friend übernommen habe, besteht darin, ein komplexes Bewegungsmuster zunächst in weniger komplexe Teilmuster zu zerlegen und diese dann isoliert zu üben. Gelingt einem der isolierte Bewegungsablauf, dann müssen die Teilbewegungen zu einer Gesamtbewegung zusammengesetzt werden. Dies gilt selbstverständlich auch für das Schwimmen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es beim Schwimmen auch Zwischenstufen gibt, die ich Grundmuster nenne. Sie bestehen aus natürlich zusammengehörenden Teilmustern, die sich - wenn sie richtig gemeinsam ausgeführt werden - wie eine einzige Bewegung anfühlen. Aufgrund meiner jahrelangen Schwimmerfahrung weiß ich, welche Grundmuster das sind und wie sie sich am effektivsten üben lassen.

Die Methode stellt zahlreiche Übungen zur Verfügung, die dazu dienen, die Teilmuster einzustudieren. Jede individuelle Problemstellung von Klienten hat in der Vergangenheit außerdem dazu geführt, diese Übungen zu verfeinern und Varianten zu entwickeln. Es existiert daher ein umfangreiches Repertoire an Übungen, aus dem die Methode schöpfen kann.

Das iterative Paretoprinzip

Das Pareto-Prinzip besagt vereinfacht, dass für einen 80%igen Erfolg der Einsatz von lediglich 20% der Ressourcen erforderlich ist. Anders ausgedrückt steigt der Ressourcen-Einsatz jenseits von 80% exponentiell an. Es muss also wohlüberlegt sein, ob ein nahezu perfekter Erfolg die Mittel rechtfertigt.

Die Make Water Your Friend Methode macht sich das Pareto-Prinzip zunutze, um schnelle und gleichzeitig nachhaltige Lernerfolge zu erzielen. Da beim Schwimmen jede Bewegung mit jeder anderen Bewegung mittelbar oder unmittelbar zusammenhängt, macht es keinen Sinn, einzelne Teilmuster bis zur Perfektion zu erlernen, während andere Teilmuster noch gar nicht beherrscht werden. Wir lernen also mit relativ wenig Aufwand ein Teilmuster so lange, bis es integrationsfähig mit anderen Teilmustern geworden ist. Eine klassische 80%-Lösung also. Lassen sich dann gut gelernte, aber noch nicht perfekt ausgeführte Teilmuster zu Grundmustern zusammensetzen, wird der Prozess - ausgehend von einem höheren Kompetenzniveau - neu eingeleitet und der Bewegungsablauf somit in einem iterativen Prozess verbessert.

Keine Hilfsmittel

Zu jedem Sport existiert eine große Begleitindustrie, die Materialen und Hilfsmittel zur Verfügung stellt. Die meisten Hilfsmittel sind nicht nur überflüssig, sondern behindern einen Lernerfolg sogar. In der Regel reichen Badehose/Badeanzug, Schwimmbrille und ggf. eine Badekappe vollständig aus, um im Pool variantenreich zu schwimmen. Im Freiwasser kommen eine Boje und ggf. ein Kälteschutz dazu. In der Regel braucht es nicht mehr, weder um seine Technik zu verbessern, noch um den Schwimmsport auszuführen. Die Methode Make Water Your Friend verzichtet also im Regelfall auf den Einsatz von Hilfsmitteln. Sollten im Ausnahmefall doch einmal Hilfsmittel zum Einsatz kommen, dann erfolgt das stets indivduell gut begründet und sparsam. Ich bin überzeugt, dass Schwimmen von Schwimmen kommt - und nicht von Schwimmen mit Hilfsmitteln.